Nach 20 Minuten hatte ich einen Tunnelblick.
Ich habe nicht mehr mitbekommen, was um mich herum geschah. Alle 2-5 Minuten hatte ich einen neuen Gegner. Kaum war mein Gegner erschöpft, kam der nächste frisch rein.
Ich rede von der Kampfkunst Brazilian Jiu-Jitsu (BJJ). BJJ ist so ähnlich wie Judo, mit Bodenkampf als Hauptfokus.
Zurück zum Kämpfen.
Es war ein Sonntagmittag und mehr als 30 Personen versammelten sich im Kampf-Club PKG in Los Angeles.
5 Kämpfer haben ihre Gürtelprüfung bestanden. Ich war einer von ihnen. Am Tag der Gürtelverleihung dürfen jetzt alle anderen Team-Mitglieder gegen mich und die anderen 4 kämpfen, einer nach dem anderen.
Wie sich das anfühlt?
Stell Dir vor, Du läufst gegen Deinen Arbeitskollegen. Nach 800 Metern kommt ein neuer Kollege und löst den alten ab. Für ihn sind es 800m, für Dich jetzt schon 1600m. Das machst Du dann 25 Mal.
Die Kämpfe gingen über eine Stunde, ohne Pause. Bis ich zum Schluss gegen einen der besten der Welt kämpfen musste. Victor Silverio.
Alle paar Sekunden hatte er mich in einem Hebel oder Würger. Ab und zu habe ich ein “oh shit” von jemanden gehört. Ein Zeichen, dass Victor eine krasse Technik an mir angewendet hat.
Dann erhielt ich meinen Blaugurt.
Ziel erreicht? Jein
Happy? Ja
Ziele können frustrieren
Warum Jein? Weil der Blaugurt nicht mein Ziel war. Mein Bestes zu geben war mein Ziel und das habe ich erreicht.
Wenn der Blaugurt ein Ziel gewesen wäre, dann hätte ich mir eingeredet, dass ich nicht gut genug bin, bis ich den Blaugurt bekomme.
Ich hätte die letzten 2 Jahre in einem erfolglosen Zustand gesteckt. Nach jedem Training: “Uff, schon wieder nicht mein Ziel erreicht.”
Habe ich mich gefreut, als ich den Blaugurt bekommen habe? Klar! Und ich habe mich auch gleich mit Pizza, Eis und Kino belohnt.
Die Freude hielt aber nicht lange an. Maximal einige Stunden. Dann kommt nämlich das zweite Ziel, der Lilagurt – und wieder stecke ich in einer erfolglosen Phase. Und sich zwei Jahre zu quälen und täglich ungeduldig auf ein Ziel zu starren ist die kurze Freude einfach nicht Wert.
Verlier das Ziel aus den Augen und konzentriere Dich auf den Prozess
Zu oft setzen wir uns Ziele und fühlen uns dann schlecht, wenn wir sie nicht erreichen. Wir stressen uns unnötiger Weise mit Zielen im Job oder Privatleben. Denk an die guten Vorsätze für das neue Jahr.
Es geht auch einfacher und stressfreier, indem Du Dich auf den regelmäßigen Prozess konzentrierst. So brauchst Du Dir keine Sorgen über das große lebensverändernde Ziel machen.
Du kannst den Moment genießen, wirst automatisch besser und kommst trotzdem an Dein großes Ziel (einen freien Handstand oder bessere Körperhaltung zum Beispiel).
Beim Brazilian Jiu-Jitsu habe ich mich auf zwei Dinge konzentriert:
- 2-3 Mal pro Woche trainieren
- jedes Training mein Bestes geben
Diese Dinge sind ein wichtiger Teil des Prozesses, um besser zu werden. Nach jedem Training konnte ich mir auf die Schulter klopfen und mich freuen.
Anstatt zwei Jahre zu warten, um sich dann zu freuen, habe ich mich 2-3 Mal pro Woche gefreut. Mathematisch ausgedrückt habe ich mich 200-Mal mehr gefreut, als wenn ich nur den Blaugurt im Kopf gehabt hätte.
Was denkst Du? Kennst Du Ziele, die man lieber nicht setzt? Wenn ja, worauf sollte man sich stattdessen konzentrieren?
Schreibe unten einen Kommentar! Ich bin gespannt.
Ich kann dir nur recht geben, wichtig ist nur die Freude am Tuen.
Toller Artikel mit absolut treffenden Feststellungen. Habe lange gebraucht, um dies auch schon lernen zu dürfen…
Danke, Manu!